
„Der womöglich verrückteste Tag meines Lebens“
Es ist die ungewöhnliche, wunderbare und nachhaltige Geschichte eines Orgelkonzertes, und alle, die es erleben dürfen, werden es wohl nie vergessen, dieses Ereignis der vielen Facetten. Danach wird die Protagonistin, der Star dieses Abends, über diesen 15. Juli 2025 sagen: „„Der womöglich verrückteste Tag meines Lebens.“
Anna Lapwood in Köln: Der Social-Media-Star aus England lockt an diesem Abend 13.000 Menschen in die Kölner Innenstadt. Die 29-jährige Organistin der Extraklasse begeistert vor allem auch junge Leute für dieses traditionell eher als konservativ etikettierte Instrument und schafft es, die Orgel tatsächlich als „Königin der Instrumente“ für mehrere Generationen zu präsentieren.
13.000 Menschen vor dem Kölner Dom und in einer kilometerlangen Warteschlange, die sich über die Hohe Straße bis zum Neumarkt zieht. Mit Disziplin und Geduld bewältigen die Lapwood-Fans über Stunden diese Herausforderung, aber viele, zu viele von ihnen werden am Ende nicht belohnt, weil sie nicht mehr in den Dom kommen; denn die übliche Spezies der Drängler, der Rücksichtlosen, der Dreisten nimmt letztlich die Überholspur und bewegt sich an allen Wartenden vorbei zum Domportal. Die Dom-Organisation hat den Andrang völlig unterschätzt, als hätte sie nie von diesem gigantischen Hype um die Engländerin, nie von der Wirkung von Social Media etwas gehört. Und sie lässt die Unverschämten gewähren, getreu dem biblischen Motto „Die Letzten werden die Ersten sein.“
1,2 Millionen Follower hat Anna Lapwood, die Organistin der Royal Albert Hall in London, alleine auf Instagram, mit den anderen Kanälen, die sie so engagiert bedient, sind es über zwei Millionen. Sämtliche ihrer Auftritte in den großen Konzerthallen Europas sind stets ausverkauft. Dass sie in der Reihe der sommerlichen Orgelkonzerte im Kölner Dom bei freiem Eintritt gastiert, ist da geradezu eine Sensation, eine kaum zu fassende, aber eine tatsächliche. Tausende Menschen, von denen viele weit angereist sind, haben keine Chance, in den Dom zu gelangen und fahren tief enttäuscht wieder nach Hause zurück.
Anna Lapwood entscheidet sich spontan, aus einem für 70 Minuten geplanten Konzert zwei Konzerte à 45 Minuten zu machen, damit rund 9000 von den 13.000 Menschen sie und ihre Musik erleben können. Sie verspricht, irgendwann wieder nach Köln zu kommen, aber dann, so verlangt sie das, bitte nur mit Ticketing.
Ihr Lachen, ihre Heiterkeit, ihre Begeisterung für „ihr“ Instrument sind ansteckend. Sie spielt Pop- und Filmmusik, sie hat unter anderem bekannte Soundtracks von John Williams, Hans Zimmer, Ludovico Einaudi und Robbie Williams im Repertoire und an diesem Abend auch ein improvisiertes „Happy „Birthday“ für eine junge Frau im Publikum. Man weiß, dass sie auch klassische Musik meisterlich beherrscht und gerne Kompositionen von Olivier Messiaen, Claude Debussy, Johann Sebastian Bach und vielen anderen spielt, arrangiert, improvisiert. Doch dafür bleibt heute Abend keine Zeit.
Ihre positive Besessenheit für das Instrument ist letztlich ein grandioses Zeugnis ihrer Perfektion. In Köln hat sie zwei Nächte lang jeweils über neun Stunden im menschenleeren Dom die Orgel intensiv erkundet und kennengelernt. Das Ergebnis besticht mit einer präzisen und erstklassigen Registrierung, die den tausenden Zuhörerinnen und Zuhörern ein einzigartiges Klangerlebnis beschert.
Viele haben nur noch auf dem Boden des Doms einen Platz gefunden, und auch das ist gewiss eine ganz seltene konzertante Hör- und Blickperspektive an diesem historischen und religiösen Ort – mit der wohlgefälligen Erlaubnis der ansonsten eher strengen Domschweizer. Sensationell.
Anna Lapwood, die auch Klavier, Geige und Harfe spielt und zwei Chöre am Pembroke College in Cambridge geleitet hat, spricht mit Schwung von der Orgelempore zu ihren Fans im Dom, spontan, sympathisch, natürlich, und sie ist begeistert von der Resonanz, die sie auch und gerade hier in Köln bekommt. „Es ist, als würde ich träumen, die umwerfendste Woche in Deutschland“.
Köln ist an diesem Abend in vielerlei Hinsicht ein Ausnahmezustand. Man wird gewiss noch lange darüber reden. Ein Glück, dabei gewesen zu sein!
Fotos: media-mathieu
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