Egidius Braun. Der Präsident. Der Mensch.

Egidius Braun. Der Präsident. Der Mensch.

Er war ein Glücksfall für den Fußball. Das beschreibt wohl treffend die außergewöhnliche jahrzehntelange Tätigkeit für diesen Sport in Deutschland und in Europa. Egidius Braun ist in der Nacht zum Mittwoch im Alter von 97 Jahren in Aachen gestorben.

Egidius Braun empfand sich stets als Gegenentwurf zu den grellen Dreh- und Angelpunkten des immer rasanter werdenden Kommerzkarussells. Einer seiner wichtigsten Sätze lautete in diesem Zusammenhang: „Fußball ist nicht nur Geldvermehrung, Popularität verpflichtet auch zur sozialen Verantwortung.“

Egidius Braun wurde am 27. Februar 1925 in Stolberg-Breinig geboren. Die Fußballbegeisterung hat er von seinem Vater, der fast 40 Jahre lang Vorsitzender des SV Breinig war. Der Schüler besuchte das Gymnasium der Stadt Alsdorf und bestand dort 1943 die Abiturprüfung. Er wollte Chemie studieren, wurde aber als Soldat eingezogen. Nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft arbeitete er bei einem Export- und Importbetrieb für Agrarprodukte in Aachen. 1947 gründete er seinen eigenen Export- und Importbetrieb. 1971 zog er sich aus dem unternehmerischen Tagesgeschäft zurück.

Als Jugendfußballer trat er 1938 dem SV Breinig bei. Von 1960 bis 1968 war er Schiedsrichter in der Bezirksklasse. Weitere Tätigkeiten im Fußball: 1969-71 Vorsitzender des SV Breinig, 1971 Vorsitzender des Fußballkreises Aachen, 1973 Vorsitzender des Fußballverbandes Mittelrhein, 1977 DFB-Schatzmeister, 1988 Wahl in das Exekutivkomitee der UEFA, 1982 UEFA-Vizepräsident, 1992 DFB-Präsident, einstimmig wiedergewählt 1995 und 1998, 2001 DFB-Ehrenpräsident.

Eines seiner vorrangigen Ziele als DFB-Präsident war die erfolgreiche Kandidatur des DFB um die Ausrichtung der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Das hat er mit seinen exzellenten internationalen Verbindungen geschafft. Er war über mehrere Jahre Vorsitzender der EM-Organisationskommission und Mitglied in der Organisationskommission der FIFA für die WM.

Der Präsident aus Aachen war ganz oben und hat nie die Basis unten vernachlässigt – ob bei Jugendturnieren, am „Würselener Tor“ am alten Tivoli, bei zahlreichen Jubiläen und Turnieren von Kreisliga- und Bezirksligavereinen oder über viele Jahre sonntags an der Orgel der Walheimer Klosterkirche. Dennoch hat er sich nie auf den „guten Menschen aus Breinig“ reduzieren lassen. Kein harmonisierender Ja-Sager. Einer, der öffentlich erklärte: „Wer mir eine gibt, bekommt eine zurück.“ Bei ihm wusste und weiß man stets, woran man war. Das zeichnete ihn aus, auch das.

Neun Jahre, von 1992 bis 2001, war er Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, ein individueller und unkonventioneller Spitzenfunktionär, dessen souveräne Persönlichkeit sich nicht erst durch den Kontrast zu seinem etwas seltsamen unmittelbaren Nachfolger Gerhard Mayer-Vorfelder definierte. Niemals gab es bei Braun eine Politik der fuchtelnden Hand, sondern stets klare Entscheidungen, die ihm mehr als einmal das Etikett „autoritär“ einbrachten. Na und? Gegen latente Oberflächlichkeit setzte er gezielt Instinkt, Strategie, Rhetorik und natürlich Macht. Für einen Verband mit über sechs Millionen Mitgliedern kann das nicht ganz falsch gewesen sein.

In der Retrospektive auf diese Jahre nannte er in einem unserer zahlreichen Gespräche seinen größten Fehler „Unduldsamkeit“. Ach ja: Das sagen sie alle, als sei alleine mit Geduld Großes zu bewirken. Da gehört wohl mehr dazu!

Folglich hat sich Egidius Braun auf keiner Bühne dieser Welt auf der Breiniger Nase herumtanzen lassen. Der von einigen eher hämisch gemeinte Titel „Pater Braun“ trifft da die Persönlichkeit nicht ganz. Den „Pater“ akzeptierte er vor allem in Zusammenhang mit seinem Bekenntnis zur Kirche. „Dann fühle ich mich mit diesem Namen geehrt, besonders, wenn damit auch die Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen gemeint ist.“

Auf der einen Seite ein Manager mit hoher Verantwortung und 20 Mark Tagesspesen, auf der anderen Seite ein Sportfunktionär, der in seiner Antrittsrede als DFB-Präsident den legendären Satz sprach: „Fußball ist mehr als 1:0.“ Für den Slogan wurde er zunächst belächelt von den Fußball-Granden dieser Welt und von einer Medien-Melange aus „taz“ und „Süddeutscher Zeitung“. Altmodisch stand auf dem Etikett, das ihm angeklebt wurde.

Da hatte er schon etliche Jahre seine guten Erfahrungen mit der von ihm während der WM 1986 initiierten Mexiko-Hilfe und Vereinen wie seinem Heimatclub SV Breinig. Mit Jugendfußball und mit Amateuren. Das soziale und gesellschaftspolitische Engagement setzte er beim DFB konsequent durch. Es wurde bei seiner neunjährigen Präsidentschaft die dritte Säule neben Profifußball und Amateurbereich.

Kinder und Jugendliche

Das Schöne am Fußball war für Egidius Braun vor allem die Fürsorge für Kinder und Jugendliche. Das weit darüber hinaus gehende Bemühen, sich für Kinder in aller Welt einzusetzen, auch gemeinsam mit dem Kindermissionswerk, gehört zu den wesentlichen Merkmalen der Egidius-Braun-Stiftung.

Eine schwere Krankheit drohte ihn vor Jahren aus der Bahn zu werfen. Er und seine Frau Marianne nahmen diese Herausforderung unverdrossen an. Und so sah man beide wieder regelmäßig in der Öffentlichkeit, zum Beispiel beim Aachener Reitturnier. Sein soziales Engagement verlor er nie aus den Augen: „Die Kinder, wir müssen doch etwas für die Kinder tun. Es gibt so viel Elend auf der Welt, sind wir eigentlich verrückt geworden, das zuzulassen?“ Viele Menschen aller Einkommensklassen, junge und alte, haben ihm über die Jahrzehnte seit 1986 mit Spenden für seine Mexiko-Hilfe, die Waisenkinder unterstützt, geholfen.

Das sind schöne Erfahrungen, die weit über den Fußballplatz hinausreichen und doch ursächlich mit diesem Sport zu tun haben. Aber es gibt leider auch die matte Kehrseite dieser glänzenden Medaille, das negative Element. Für Braun war das eindeutig die Gewalt rund um den Fußball. Tiefpunkt waren für ihn persönlich die Ausschreitungen deutscher Fans während der Fußball-WM in Frankreich 1998, als sie in Lens einen Polizisten fast tot prügelten. Braun: „Das war die schlimmste Stunde, die ich in meinem Fußballerleben mitgemacht habe.“

Die große Gefahr der Kommerzialisierung des Volkssports Fußball hat er immer gesehen, ständig davor gewarnt, aber die internationale Entwicklung konnte er nicht aufhalten. Keiner hat sie aufhalten können. Egidius Braun ging auch nach seiner Präsidentschaft fast trotzig weiter eigene Wege. Die Mexiko-Hilfe war ihm über Jahrzehnte ein uneingeschränktes Herzensanliegen. Das galt auch für die kleinen Vereine, die Kinder- und Jugendabteilungen, die vielen ehrenamtlichen Betreuerinnen und Betreuer, Vereinsvorstände, Trainer.

Als junger Mann wollte er Philosophie studieren und hat viele Jahre später tatsächlich einige Semester nachgeholt. „Was habe ich dabei gelernt? Etwas ganz Wichtiges: Das größte Glück des Menschen ist die Fähigkeit zur Einsicht, nicht nur zuzuhören, wenn einer eine andere Meinung hat, sondern bereit zu sein, die Argumente des anderen, wenn sie besser sind, anzuerkennen.“

Jede Begegnung mit Egidius Braun war ein Gewinn. Nicht nur wegen der Argumente, sondern vor allem wegen der liebenswürdigen Atmosphäre, die er und seine Frau dem Gast in ihrem Haus jederzeit boten. Er war ein ganz Großer.

Foto: Bernd Mathieu

3 Gedanken zu „Egidius Braun. Der Präsident. Der Mensch.

  1. Ein sehr treffender und hervorragender Nachruf. Als Ehrenmitglied des TSV Hertha Walheim war er immer zur Mitgliederversammlung eingeladen. Er nahm zwar nie teil (so weit ich mich erinnere), aber er sagte jedesmal mit einem freundlichen Gruß ab. Das Kinder- und Waisenhaus in Mexiko habe ich besucht und konnte nur freudesteahlende Gesichter sehen. Die Menschen dort waren voll der Bewunderu g für ohn. Er wird den Menschen überall fehlen. Ruhe er in Frieden.

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