Und echt sind sie doch!

Und echt sind sie doch!

Die Heiligtumsfahrt in Aachen kommt wie gerufen. Sie passt genau in unsere Zeit. Dieses Phänomen haben, wenn wir ehrlich sind, nicht so viele in dieser Intensität vermutet. Die Schau der „Heiligtümer“ haben manche belächelt oder sogar kopfschüttelnd und rücksichtslos in die Ecke verstaubter Tradition eines ohnehin verstaubten Klerus gestellt.

Aber: Die Heiligtumsfahrt hat sich zunächst auf leisen Sohlen in die Mentalität 2023 eingeschlichen, dann hat sie sich breit gemacht, hat immer intensiver Raum und Zeit und vor allem Menschen für sich eingenommen und bewegt. Jetzt ist sie da, und sie darf an diesem, ihrem letzten Wochenende laut und selbstbewusst sagen: „Danke für die Aufmerksamkeit!“

Sie begegnet in diesen Tagen einer Gesellschaft, die schon zu lange unter der Permanenz eines Gefühls leidet, das mit dem Wort „Krisenmodus“ zu überschreiben ist. Krieg in der Ukraine, Komplett-Verunsicherung wegen Energie, Heizung, Klima, Existenzsorgen wegen der Inflation, Existenzängste wegen der internationalen Situation rund um Russland, China und der alles andere als stabilen Position der USA. Die Liste ist lang und die Zuversicht unterentwickelt.

Die Qualität unserer Demokratie mag dabei manchem schon angekratzt erscheinen. Wahr ist: Unsere Demokratie hält viel aus, die Lauten, die aus den Sorgen, Nöten und Ängsten parteipolitisches Kapital schlagen, die Leisen, die sich viel zu selten zu Wort melden, die zu Schnellschüssen Neigenden und die viel zu Zögerlichen. Die Demokratie ist stark und hat kompetente Einmischung verdient! Das macht sie noch stärker.

Eine Heiligtumsfahrt ist in diesen Zeiten der Skepsis und Orientierungslosigkeit zumindest eine Unterbrechung, die mehr ist als nur eine religiöse oder wenigstens sentimentale Pause für Herz und Seele, für Besinnung und Begegnung, für Glaube und Hoffnung, für Respekt und Haltung. Die Textilien sind echt – echt vermittelnd, echt aufrüttelnd, echt wahrhaftig, weil sie für das Christentum in seiner ursprünglichen Wahrheit und die Botschaft der Gottes-, Mensch- und Geisteshaltung stehen: Mut, Loyalität, Nächsten- und sogar Feindesliebe; sie ist ein geradezu revolutionärer Gegenentwurf zu Passivität, Mutlosigkeit, Gleichgültigkeit, Resignation, zu unterlassener Hilfeleistung aller Art.


Viele Menschen, darunter nicht wenige, die allzu intensiver Religiosität gar nichts abgewinnen können, haben sich auf die Textilien eingelassen und die Pause mitten in der Hektik von Mobilität, Digitalisierung, Globalisierung genossen, sich mal nicht verrückt machen lassen, sondern innegehalten, nachgedacht, verschnauft, sich an etwas Schönem fröhlich erfreut: gewiss auch an den abendlichen Angeboten etwa auf dem Katschhof. Und so war und ist die Heiligtumsfahrt ein nachhaltiges Angebot, eine Anleitung für den Alltag, gerade in schwierigen Situationen gelassen zu bleiben oder zu werden, um stark zu sein für Engagement, für Widerspruch, für Solidarität, für Förderung und auch für Forderung, vor allem für Verantwortung.

Es ist in diesem Sinne zudem ein gutes Zeichen, dass etwa die Hälfte des Mädchenchores am Aachener Dom die Sonntagsmesse mit dem Kölner Kardinal boykottiert und damit die große und vom Klerus vollends unbewältigte Kluft der katholischen Kirche dokumentiert. Zu den Werten, für die diese Heiligtumsfahrt steht, passt Herr Woelki nicht. Und jeder kann das an diesem Sonntag eindrucksvoll unterstreichen: durch den Verzicht auf persönliche Anwesenheit.

Foto: m-m

Aktuelle Ergänzung (WDR):

Quelle: WDR

2 Gedanken zu „Und echt sind sie doch!

  1. ich verstehe gar nicht, warum sie ‚echt vermittelnd, echt aufrüttelnd, echt wahrhaftig, weil sie für das Christentum in seiner ursprünglichen Wahrheit und die Botschaft der Gottes-, Mensch- und Geisteshaltung stehen…‘ Aber da ich protestantisch bin, vielleicht fehlt mir das Verständnis dafür.

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