Von Ehre, Mut und fünf Frauen.

Von Ehre, Mut und fünf Frauen.

Selten war eine Karlspreis-Verleihung in Aachen so persönlich. So zugewandt. So emotional. So berührend.

Fünf Frauen haben das geschafft.

Annalena Baerbock. Am Anfang ihrer bewegenden Rede sagt sie: „Ich weiß gar nicht, wie ich es ausdrücken soll, was es für eine Ehre ist, heute auf die mutigsten Frauen Europas die Laudatio halten zu dürfen.“ Und sie sagt auch: „Euer Mut lässt sich nicht wegsperren. Die Idee der Freiheit kann man nicht ins Exil vertreiben.“ Die deutsche Außenministerin verzichtet auf jeden Ansatz von Allgemeinplätzen, auf gestanzte Floskeln, auf das rhetorisch Übliche, sie überzeugt zum einen wieder einmal mit politischem Klartext, und zum anderen spricht sie in bemerkenswerter Authentizität die drei Preisträgerinnen an: mit Namensnennung, mit Blickkontakt, verbindlich, glaubwürdig, und nicht mit einem Hauch deplatzierter Selbstdarstellung. Das ist einfach: Klasse!

Meinung

Swetlana Tichanowskaja, Veronica Tsepkalo, Tatsiana Khomisch. Auch Frau Tichanowskaja beginnt sehr persönlich, sehr emotional, sie spricht von Kindern und ihren Vätern und Müttern in Belarus. Die drei Preisträgerinnen – die inhaftierte Maria Kalesnikava  wird von ihrer Schwester Tatsiana vertreten – skizzieren die Situation in ihrem Land, ihre eigene und damit die Lage der Opposition, und sie demonstrieren, dass sie ihren Mut für Freiheit in Europa niemals aufgeben werden. Sie betonen die wunderbaren Vorzüge einer Demokratie, wie wir sie zum Beispiel in Deutschland seit so vielen Jahrzehnten erleben dürfen, sie mahnen uns damit zu mehr Wertschätzung für das scheinbar Selbstverständliche. Und sie lehnen jede Form von Mitleid ab, weil sie, so formulieren sie es noch einmal deutlich, selbstbewusst und stark genug seien, für diese Freiheit weiter zu kämpfen. Das sind drei beeindruckende Reden von drei beeindruckenden Frauen.

Sibylle Keupen. Die Aachener Oberbürgermeisterin trifft diesmal das Thema und schweift nicht ab. Sie konzentriert sich auf den Karlspreis und auf die Preisträgerinnen. Sie beschreibt zutreffend die plötzliche Veränderung unserer Welt nur wenige Monate nach der Bekanntgabe der Entscheidung des Direktoriums. Sie charakterisiert die Frauen aus Belarus in angenehmer Präzision und beschränkt sich auf das Wesentliche: Und das wirkt. Sie macht es gut.

Man hätte sich an diesem Vormittag in Aachen mindestens noch zwei weitere Frauen bei der Verleihung im Krönungssaal gewünscht: die Karlspreisträgerin Angela Merkel und die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Und den einen oder anderen Mann: Donald Tusk aus Polen, Klaus Johannis aus Rumänien, beide ebenfalls Karlspreisträger, EU-Ratspräsident Charles Michel und, und, und. Egal: Die Frauen, siehe oben, stehen ohnehin im Mittelpunkt!

Zum Schluss ein, wie ich finde, sehr schöner und zu diesem Tag passender Text von André Gide (1869-1951):

In einer Zeit, wo ich den Wert des Menschen,
seine Würde und seine Ehre:
alles, wofür wir leben und was unserem Leben Sinn gibt,
so tödlich gefährdet, so von allen Seiten umstellt
fühle – in solcher Zeit ist es gerade dieses Bewusstsein:
dass es unter uns Menschen noch einige gibt,
und seien es auch noch so wenige
und in welchem Land auch immer,
die sich nicht beruhigen;
ihre geistige und moralische Rechtschaffenheit sich
bewahren und protestieren gegen
jede totalitäre Parole und gegen jedes Unternehmen,
das sich anmaßt, den Gedanken zu beugen,
sich zu unterwerfen und die Seele zu knechten.
Ich sage: zu wissen, dass es solche Menschen gibt,
dieses lebendige Salz der Erde,
gerade dies und nur dies Bewusstsein hält uns Alte
aufrecht und ist unsere Zuversicht.
Ich glaube an den Wert der kleinen Völker.
Ich glaube an den Wert der kleinen Zahl.
Die Welt wird gerettet werden durch einige einzelne.

Bildmotiv: Emil Ciocoiu

4 Gedanken zu „Von Ehre, Mut und fünf Frauen.

  1. Heute haben nur Frauen gesprochen. Das war nicht nur bemerkenswert, sondern auch erfrischend und spannend, keine wohlgesetzten Sätze, die noch die Nachwelt beeindrucken sollen. Sowohl die Außenministerin als auch die Preisträgerinnen sprachen persönlich und von dem, was sie tief bewegt. Damit bewegten sie uns alle. Heute erlebten wir großartige Frauen und beeindruckende Karlspreisträgerinnen.

  2. Lieber Bernd, es hat uns Öchern gutgehen, deinen Text in Frankreich zu lesen. Manchmal gibt es auch in Aachen herausragende Veranstaltungen. Aus Sault grüßen euch Doris und Thomas

  3. Ich kann mich den Vorkommentaren nur anschließen! Der Karlspreis aktuell und erfrischend authentisch durch großartige Frauen! Habe mich sehr gefreut dabei sein zu können. Auch die Bürgerversammlung auf dem Katschhof mit beeindruckenden Initiativen wie der BlueKarla rundeten den Tag ab. Ich freue mich besonders dass wir dieses Fest auch mit denUkrainern, mit denen wir jetzt schon drei Monate zusammen wohnen dürfen und ihren Freunden feiern konnten.

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