Presse. Freiheit. Gerade jetzt!
Heute wieder: Der Tag der Pressefreiheit. Es gibt dazu immer aktuelle Statistiken. Bei „Reporter ohne Grenzen“ ist Deutschland in der Rangliste um drei Plätze nach unten gerutscht: von Rang 13 auf 16. Drei Gründe seien dafür maßgeblich: „Eine Gesetzgebung, die Journalistinnen und Journalisten sowie ihre Quellen gefährdet, abnehmende Medienvielfalt sowie allen voran Gewalt bei Demonstrationen.“ Die Zahl der gewaltsamen Angriffe habe mit 80 bestätigten Fällen so hoch wie noch nie seit Beginn der Dokumentation im Jahr 2013 gelegen.
Die meisten Angriffe hätten sich bei Protesten von „Querdenkern“ ereignet. „Medienschaffende wurden bespuckt, getreten, bewusstlos geschlagen.“ Und dennoch: Europa ist laut Rangliste eindeutig nach wie vor die Weltregion, in der Journalistinnen und Journalisten am freiesten arbeiten können. Das ist wertvoll.
Pressefreiheit ist unentbehrlich. Sie gehört zur Identität unserer Demokratie und unseres Lebensstils. Sie ist ein Teil nicht nur unserer Kultur, sondern auch unseres sozialen Systems. Wenn Presseorgane dies ernst nehmen, dann sollten sie gerade jetzt – in tatsächlich und gefühlt unsicheren Kriegs- und nach wie vor auch Corona-Zeiten – ihre Relevanz revitalisieren im Sinne von: Kompetenzen in der Glaubwürdigkeit der Inhalte vermitteln, Erwartungen an die Politik und die Gesellschaft formulieren, im Umgang miteinander Respekt reklamieren, kritische Distanz wahren.
Pressefreiheit, kompetent und mutig praktiziert, ist ein Gegenentwurf zum Schüren von Ängsten und zur Verharmlosung realer Gefahren – ein Spagat. Im Idealfall ist sie ein Korrektiv für Fake News und falsche Tatsachenbehauptungen. Pressefreiheit zu leben, heißt, alles, was wir zu wissen glauben, in Frage zu stellen und in der Recherche noch mal von vorne anfangen zu können, wenn es denn nötig wird. Der legendäre Chefredakteur des „Berliner Tageblatt“, Theodor Wolff, hat diese gesunde Skepsis nachhaltig so formuliert: „So schwebt über jeder Wahrheit noch ein letztes Vielleicht.“
Wir erleben zurzeit auf eine dramatische Weise, wie sehr Autokratien und Diktaturen als Staatsform in einem uns alle erschreckenden Ausmaß um sich greifen. Und sehen auch da, jetzt vor allem in Russland, dass der Umgang mit der Pressefreiheit ein ziemlich zuverlässiger Indikator für autokratische Systeme ist.
Gesprächsoffenheit, Konfliktlösungspotenzial und die Akzeptanz verschiedener Meinungen und Richtungen prägen ein seriöses journalistisches Leben. Dazu gehören unbedingt Gradlinigkeit und Rückgrat – und eine gewisse Belastungsfähigkeit das auszuhalten: den Widerspruch, den Konflikt, die Beschimpfung, die unmittelbare und die mittelbare, etwa über Social Media.
Presse hat viel zu tun. Pressefreiheit ist die Garantie für ihre unabhängige Arbeit. Sie ist ein europäischer Wert. Und wo Pressefreiheit beschädigt wird, wo sie eingesperrt wird, wo sie malträtiert wird, da müssen wir Zeichen setzen. Gerade jetzt.
RSF_Rangliste_der_Pressefreiheit_2022
Ein Gedanke zu „Presse. Freiheit. Gerade jetzt!“
Lieber Bernd,
Dein Artikel ist das Plädoyer für eines der wichtigsten Grundrechte.
So oft müssen wir feststellen, dass diese in unserer Gesellschaft immer weniger ernst genommen werden .
Vielen Dank für die wichtigen Worte.
Friedhelm