„Das war kein Tor!“

„Das war kein Tor!“

85 ist er am Freitag geworden „unser“ Uwe Seeler, eben „uns Uwe“. Er war mehrfach zu Gast in Aachen, um seinen Freund Egidius Braun, DFB-Ehrenpräsident, zu besuchen. Bei einem Treffen der beiden durfte ich 2004 dabei sein. Es dauerte – bei Kaffee und Kuchen – über drei Stunden, und Uwe Seeler plauderte über manche Anekdote, Erfahrung, Erkenntnis aus seinem langen Fußballer-Leben. Auch das berühmte Wembley-Tor im WM-Finale 1966 gehörte natürlich dazu. Dieses Interviews gehört zu den schönsten Erinenrungen im Laufe der Jahre als Journalist. In der Retrospektive hier einige Auszüge aus dem damaligen Gespräch, das in AZ/AN veröffentlicht wurde.

Beim Rückblick auf Ihre aktive Karriere erinnert man sich an ganz bestimmte Bilder: Fallrückzieher, Wembley, das spektakuläre Hinterkopf-Tor gegen England bei der WM in Mexiko. Entsprechen diese Bilder Ihrem eigenen Kurzfilm?

Uwe Seeler: Tore zu schießen, hat mir Spaß gemacht, Flugkopfbälle, Fallrückzieher, Seitrückzieher, Volleyschüsse,Hinterkopf, das Tor in Mexiko war spektakulär, weil es ja anders gar nicht ging, aber ich habe viel schönere Tore gemacht. Das war nicht selten der Fall, sondern eher schon als Serie. Das habe ich ja auch ständig trainiert. Ich bilde mir ein, dass ich das ganz gut konnte, trotzdem war ich täglich am Pendel und habe hart trainiert. Das war purer Spaß, unsere Zeit möchte ich nicht missen.

Im Gegensatz zu heute?

Uwe Seeler: Wenn der Fußball gut ist, ist das Geschäft automatisch gut, heute ist erst mal nur Geschäft, dann kommt lange gar nichts, und erst dann kommt der Fußball. Lachen Sie nicht – Fußball ist ein Laufsport. Wenn ich nicht marschiere und mich ohne Ball nicht bewege, dann kann kein Fußballspiel funktionieren. Das wird in den nächsten 50 und 100 Jahren immr noch so sein.

Geniale Spieler wie Netzer und Beckenbauer sind relativ wenig gelaufen.

Uwe Seeler: Franz war schnell, der hat auch Dribblings alleine gemacht. Bei Franz stimmt das also nicht, man könnte jetzt sagen bei Günter Netzer, aber in kurzen Strecken war der auch schnell.

Warum sind Sie nie Trainer geworden?

Uwe Seeler: Weil ich immer meinen Beruf hatte und nie Lust hatte Trainer zu werden. Das hat mich überhaupt nicht gereizt.

Lassen Sie uns mal über das legendäre Wembley-Tor im WM-Finale 1966 reden. Wie haben Sie den Schweizer Schiedsrichter Dienst und seinen russischen Linienrichter verkraftet? Ist das für Sie immer noch ein Trauma?

Uwe Seeler: Nein, ich verkrafte solche Dinge schnell. Mich hat im Grunde geärgert, dass ein so guter Schiedsrichter wie Dienst in diesem Moment so feige war. Das habe ich ihm auch selber gesagt. Du kannst als Schiedsrichter in einem Endspiel um die Fußballweltmeisterschaft nicht eine Tatsachen-Entscheidung zurücknehmen und zu einem Mann rauslaufen, der 50 Meter davon entfernt steht. Der hat gar nichts gesehen.

Was haben Sie gesehen?

Uwe Seeler: Ich war am Strafraum, „Bulle“ Weber hat den Ball übers Tor geköpft, es gab zunächst Eckball. Wenn Weber den Ball ins Spiel zurückgeköpft hätte, wäre das Spiel ganz normal weitergelaufen.

Und Sie sind nach wie vor davon überzeugt, dass es kein Tor war?

Uwe Seeler: Hundertprozentig! Das war kein Tor. Um das zu relativieren: Für mich waren die Engländer ein würdiger Weltmeister, die hatten eine Super-Mannschaft, da gibt es gar nichts, wir waren ja auch befreundet.

Dann mussten Sie nach Spielschluss der Queen auf der Tribüne die Hand drücken. Mit viel Wut?

Uwe Seeler: Mit Enttäuschung, aber mit Haltung.

Das berühmte Millionen-Angebot von Inter Mailand 1961: Gab es nicht doch einen Moment, in dem Sie über den Wechsel von Hamburg nach Italien nachgedacht haben?

Uwe Seeler: Kurz vor diesen Verhandlungen habe ich unterschrieben, dass ich die Generalvertretung von Adidas in Norddeutschland übernehme, und das habe ich in die Verhandlungen mit Inter eingebracht.

Sie haben ein Handgeld von fast einer Millionen Mark ausgeschlagen.

Uwe Seeler: Ja, ja. Die wären noch weiter gegangen. Ich habe drei Tage mit denen verhandelt. Als ich erklärt habe, dass ich in Deutschland bleibe, haben die Inter-Leute gesagt: Wir sind noch gar nicht am Ende unserer Mögllichkeiten. Die haben nicht verstanden, dass jemand dieses ganze Geld ablehnt.

War Sepp Herberger für Sie der wichtigste Trainer?

Uwe Seeler: Ich habe nur gute Trainer gehabt. Als Jugendtrainer hatte ich Dettmar Cramer. Der hat nicht geguckt, der hat dir das vorgemacht. Der hat dir was gezeigt. Und dann Herberger und Schön. Beide waren klasse.

Hat es einen Gegenspieler gegeben, der Sie zur Verzweiflung gebracht hat?

Uwe Seeler: Mehrere.

Nennen Sie mal ein paar Namen.

Uwe Seeler: Berti Vogts und Otto Rehhagel, Pirsig, Klimaschefski.

Gab es schon mal richtig Krach?

Uwe Seeler: Auf dem Platz haben wir uns gefetzt. Nach dem Spiel haben wir uns wieder die Hand gegeben. Wir haben etwas mehr Achtung voreinander gehabt, glaube ich.

Sind Sie jemals vom Platz gestellt worden?

Uwe Seeler: Ja, einmal, unberechtigt natürlich.

Und was haben Sie da gemacht?

Uwe Seeler: Ich habe mich gewehrt, gegen Braunschweig, mehr nicht. Der Schiedsrichter hatte den Zweikampf gar nicht gesehen. Aber wir haben trotzdem nach 0:4-Rückstand gewonnen. Also: Nie zu früh aufgeben! Man muss auch Gras fressen können.

ZUR PERSON

Uwe Seeler wurde am 5. November 1936 in Hamburg geboren. Er war dreimal Fußballer des Jahres, nahm an vier Weltmeisterschaften teil und absolvierte 72 Länderspiele. Seine Karriere in der Nationalmannschaft begann Seeler als 17-Jähriger am 16. Oktober 1954. Seeler hielt von Jugend an dem Hamburger SV die Treue, lehnte Millionenangebote aus dem Ausland ab und gilt als Fußball-Idol „ohne Verfallsdatum“ (Kicker). Der Ehrenspielführer der Nationalmannschaft ist seit 1959 mit seiner Frau Ilka verheiratet und hat drei Töchter. Frau Seeler sagte im aktuellen Interview mit dem NDR zu ihrem Mann vor wenigen Tagen: „Wir sind noch im Spiel, Dicker!“

Fotos: media-mathieu

 

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