Gefühlt perspektivlos.

Gefühlt perspektivlos.

Wertschätzung und Selbstbewusstsein, Haltung und Respekt gehören zum Lebensentwurf vieler Bürgerinnen und Bürger, die die Politik so gerne in Festtagsreden „mündig“ nennt – was sie nicht immer sind. Wie manche Politikerinnen und Politiker selber ja auch nicht.

Immer und ständig in mündiger Volks-Souveränität handeln: Das wäre ja noch schöner bei über 80 Millionen Menschen. Die querdenkenden Mini-Minderheiten sorgen für den lauten Ton. Diese maskenlosen Grenzüberschreiter und zuweilen durchaus aggressiven Egomanen sind den Vernünftigen, Einsichtigen und Besonnenen jener Strich durch die Rechnung, der geringere Fallzahlen ebenso verhindert wie die dringend notwendige und berechtigte Kritik an Pannen, Versäumnissen, Nachlässigkeiten und fehlenden Einsichten, die eine Trendwende auf der Basis eines Konzeptes ermöglichen müssten. Es kann einem schon unwohl werden in diesen so perspektivlos scheinenden Wochen. Superkluge Besserwisser-Sprüche reichen nicht aus, aber die seltsamen Ergebnisse eines Elf-Stunden-Marathons eben auch nicht.

Eine solche Pandemie braucht eine ungewöhnliche Wucht an Gestaltungswillen und Mut und kein ständiges Zögern, Zaudern und Zensieren föderal bewegter Provinzfürsten im disharmonischen Gruppenbild mit Kanzlerdame. Die Pandemie ist ein Katastrophenfall und gleichzeitig ein Modellfall für Krisenmanagement mit schnellen Entscheidungen, die weiterhelfen, wo fahrlässiger Zeitverlust (bei Masken, Impfstoffen, Schnelltests, Digital-Konzepten in Schulen, Einsatz von Hausarztpraxen etc.) keine Option mehr sein darf. Verpasste Chancen, seit nunmehr einem Jahr empirisch zu belegen, sind nicht geeignet, mit gelegentlicher Überheblichkeit die Hauptschuld auf den uneinsichtigen Bürger zu lenken. Die Politikerinnen und Politiker sind demokratisch gewählt und sollten zu ihrer Verantwortung stehen – gerade bei Versäumnissen.

Es geht jetzt auch nicht um irgendwelche Kanzlerkandidaturen, um Laschet oder Söder oder darum, ob Merz in ein Zukunftsteam gehört oder nicht. Das interessiert, mit Verlaub, gerade nicht wirklich. Das Virus hat die europäische Gesellschaft zur denkbar ungünstigsten Zeit erwischt. Sie wird in der EU geprägt von der Herrschaft des Mittelmaßes, dem Versagen der Urteilskraft, zu kurzfristigem Denken, von konzeptioneller Ignoranz, ja auch von Gier und Arroganz. Corona ist ein erschreckendes Symptom unserer Zeit, aber leider nicht das einzige. Der Klimawandel, das schier unendliche Wachstum, die globale Geschwindigkeit, der Verkehrskollaps, das Bildungsdefizit, die Migration sind ja noch da – unverändert, eher schlimmer als besser.

Die Politik muss endlich einen Plan und eine Strategie jenseits des Bleib-zu-Haus- und Kontaktlos-Modus entwerfen und anwenden. Nichts ist für unsere Gesellschaft zurzeit dramatischer als diese gefühlte Perspektivlosigkeit. Wo der Mut fehlt, hat die Angst die besten Chancen.

4 Gedanken zu „Gefühlt perspektivlos.

  1. Ja, leider gibt es tatsächlich einen erschreckenden Anteil an Mittelmaß und fehlender Trennschärfe – auch in Parlamenten und in Regierungen! Aber die Auswahl von Politikern liegt beim Wahlvolk und den Parteien! Eigentlich benötigt Deutschland – ähnlich wie ehedem Australien, Neuseeland und sogar Großbritannien einen markanten Lockdown – aber dazu fehlt der Mut, hinreichend ist allerdings das Partikularinteresse einzelner Verbände, der Parteien und vieler Menschen! Zwei Maßnahmen sind notwendig: Die Überarbeitung des Infektionsschutzgesetzes in Hinsicht auf eine zentrale Entscheidungsstelle sowie eine Regelung zur Beteiligung des Bundestages vor einer Regierungsentscheidung – das muss nicht unbedingt eine Abstimmung sein, sondern könnte auch eine Plenardiskussion beinhalten, wenn wegen Beratungen mit anderen Entscheidungsträgern (Länder, Kommunen, Regierungsbezirke, Städteregionen) keine vorzeitige Beschlussvorlage gegeben ist!

  2. Es scheint so zu sein, dass alle mitreden wollen. Jeder Parlamentarier soll zu Wort, bitte sehr. Dafür gibt es Fraktionschefs. Wie lange soll das denn noch dauern, bis endlich durchgeimpft wird. Die scheidende Kanzlerin hat keine Macht mehr, aber wenigstens Anstand.

  3. Die Menschen haben auch in Pandemien oder anderen Krisensituationen unterschiedliche Interessen. Plural und divers stehen diese unterschiedlichen Interessen im Raum. und im Wettstreit.
    Das wird man nicht „per ordre de Mutti“ überspielen können.
    Mu kann auch bedeuten, diese Vielfalt zu ertragen, statt einen Knoten zu durchtrennen, neben dem viele weitere liegen.

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