Was für eine Kunst!
Eines Tages werden wir über das Wie sprechen. Wie war das damals mit Corona? Wagen wir schon jetzt eine erste Retrospektive, eine besondere, eine spezielle, die sich Künstlerinnen und Künstlern aus und in Aachen widmet. Zu ihnen gehören zwei Theaterintendanten, eine Regisseurin, ein Kabarettist, ein Jazzmusiker und Komponist, ein Maler und der Vorstand des Sinfonieorchesters Aachen. Was ist ausgefallen, welche anderen Pläne sind aufgegangen? Welche Unterstützung gab es und welche nicht? In mehreren Kurzbeiträgen skizziere ich, wie kreative Menschen mit ihrer „anderen“ Zeit umgehen. Es sind ganz persönliche Ein- und Ausblicke. Sie sind im Monatsmagazin BAD AACHEN, Juni-Ausgabe, erschienen.
Uwe Brandt, Intendant des Grenzlandtheaters
„Barfuß im Park“ ist eine unterhaltsame Komödie von Gene Saks. Die Premiere im Grenzlandtheater war wie so oft natürlich ein großer und bejubelter Erfolg, aber Mitte März, nach elf Aufführungen, blieb die Bühne leer – per Verordnung wegen Corona. „Keine Probe, keine Premiere, keine Kohle“. Dass mehrere Häuser in Deutschland ihren für eine Produktion verpflichteten Schauspielerinnen und Schauspielern fortan kein Geld mehr zahlten, findet Uwe Brandt „mies“. Im Grenzlandtheater löste er das Problem ganz anders. Der Intendant kümmerte sich um Kurzarbeit und die Verschiebung der Produktion in die nächste Spielzeit mit festen Zusagen. „Das war ein fairer Deal, und sie waren alle happy.“ Die fest angestellten Mitarbeiter bewiesen Kreativität und ideenreichen Pragmatismus: Die Werkstätten produzierten Schutzwände für Arztpraxen, Apotheken und Behörden und nähten Masken. Das Haus ist mittlerweile von oben bis in den Keller neu gestrichen worden. Es gab einen wunderschönen kleinen Film mit eigens dafür online eingespielten Szenen und Liedern aus „My Fair Lady“ und mit hohen Abrufzahlen. Und die Abonnenten? „Sensationell“, heißt die spontane Antwort von Uwe Brandt. „Wir hatten und haben tolle Rückmeldungen, die große Mehrheit möchte Gutscheine oder spendet, nur ganz wenige möchten ihr Geld erstattet bekommen.“
Heribert Leuchter, Jazzmusiker, Bandleader und Komponist
Alle seine terminierten Auftritte sind mit einer Ausnahme ausgefallen, langfristige Verträge weggebrochen. Für einen freischaffenden Künstler heisst das schlicht: kein Einkommen. Kritisch sieht der exzellente Musiker die öffentliche Darstellung der staatlichen Förderprogramme. „Da wird viel Schaum geschlagen, es gibt keine vernünftige, transparente Regelung und regional unterschiedliche Kriterien“, sagt Heribert Leuchter. Als er relativ schnell die Überbrückungshilfe der Landesregierung beantragt habe, sei der Fördertopf längst leer gewesen und: „Es gab nicht einmal eine Eingangsbestätigung.“ Auch beim Kulturbetrieb der Stadt Aachen habe er den Eindruck, dass die propagierte Hilfestellung im Wesentlichen darin bestehe, Links zu Fördermaßnahmen weiterzuleiten.
Seine Situation während der strengen Corona-Regeln bezeichnet er als „Berufsverbot, denn ich bin weder arbeitslos, noch krank“. Kolleginnen und Kollegen mit einer pädagogischen Tätigkeit hätten diese zum Teil ins Internet verlegt. Er sei aber nicht Pädagoge und andere Kollegen auch nicht. „Sie sitzen zuhause, haben nichts zu tun und leben von ihren Ersparnissen.“ Heribert Leuchter hat die ungeliebte freie Zeit kreativ genutzt, komponiert und produziert am heimischen Rechner und im Tonstudio Musik. „Ein Projekt, das schon Jahre wartete.“ Er habe dazu Musiker ins Studio geladen, also in der Krise sogar Geld investiert.
Ewa Teilmans, Regisseurin, Theater Aachen
Am 2. Mai sollte die Premiere sein. Die Produktion ist komplett fertig. „Wir hätten beginnen können“, sagt Ewa Teilmans, die in dem Theaterstück „Die Irre von Chaillot“ (Komödie von Jean Giraudoux) Regie führt. Nun setzt die kreative und erfolgreiche Regisseurin auf einen leicht veränderten Start – wann auch immer er sein wird. „Ich habe einige Ideen“, deutet sie eine künstlerische Lösung mit direktem Bezug zur Corona-Krise an. „So könnten alle Kostüme einen Umfang von 1,5 Metern haben.“ Das wäre mal eine theatralische Abstandregelung und in Aachen perfekt in Szene gesetzt. „Die Erfordernisse der Corona-Auflagen möchte ich in einem künstlerischen Konzept umsetzen.“ Sie will spontan reagieren und aktuelle Entwicklungen regierungsamtlicher Art – wie die Lockerungen, die es für die Theater in Nordrhein-Westfalen zum 30. Mai gab – berücksichtigen. „Wenn alle Akteure auf der Bühne weit voneinander entfernt sind, verleiht das den Texten eine andere Bedeutung.“ Diese Möglichkeiten will sie nutzen und realisieren. Spannend! Persönlich genießt sie es immer noch, dass „ich zum ersten Mal in meinem Leben richtig viel Zeit habe, das ist großartig“. Und wiederholt es noch einmal: „Toll, toll, toll, Zeit zu haben, um solche Konzepte entwickeln zu können.“
Jürgen Beckers, Kabarettist
Was macht ein Kabarettist, wenn seine geplanten Auftritte ausfallen? Ganz einfach: Er sucht sich neue Bühnen. Jürgen Beckers, bekannt als Jürgen B. Hausmann, denkt pragmatisch, und das macht ihm sichtbar Spaß. Das merkt man ihm an bei seinen zahlreichen Auftritten vor und in Seniorenheimen der Aachener Region. Das „Trio Corona“ (mit Wilhelm Flosdorff an der Gitarre, Bertel Mennicken am Akkordeon, Jürgen Beckers Gesang) begeistert die Bewohnerinnen und Bewohner. Beckers und seine beiden Freunde verstehen es auf sympathische Art, die alten Menschen zu begeistern. „In diesen Zeiten ist kein Mensch zu den Älteren gekommen. Wir haben bei unseren Auftritten dort nur strahlende Gesichter gesehen.“ Jürgen Beckers ist vielseitig und hat zahlreiche Talente. Er kann sich auf unterschiedliche Situationen schnell einstellen. Neben diesen meist ehrenamtlichen Engagements in der Region hat er natürlich mehr Zeit als während seiner Tournee. Er genießt auch das. „Ich kann nun länger schreiben und daran feilen, stehe weniger unter Zeitdruck, kann mal Dinge verwerfen und neu formulieren.“
Tom Hirtz, Intendant Das Da Theater
„Ich bin trotz der schwierigen Lage nach wie vor optimistisch, dass wir das Ganze überleben werden“, sagt Tom Hirtz. Seine größte Sorge gilt seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die lange Zwangsschließung ist für ein freies Theater Herausforderung und Bedrohung zugleich. Besonders für die Schauspieler ist die Situation schwierig. „Alle sind in Kurzarbeit, wenige dürfen auftreten. Sie leiden sehr.“ Und das nicht nur aus finanziellen Gründen. Tom Hirtz: „Theater ist ihre Leidenschaft und ihre Lebenserfüllung, sie wollen auf der Bühne stehen.“ In den vergangenen Wochen sind freie Künstlerinnen und Künstler des Das Da Theaters wie Anja Mathar und Eisenburger vor Seniorenheimen in Aachen und der Städteregion aufgetreten und haben die Bewohnerinnen und Bewohner mit Melodien aus der Produktion „Marlene“ begeistert. Gefördert wurde das mit Spenden des Rotary Clubs Aachen Hilfsfonds e.V., der das Theater so bald wie möglich auch mit Sondervorstellungen im Eurogress unterstützen will. Und Tom Hirtz musste und muss sich intensiv mit der finanziellen Lage seines Theaters, mit Förderanträgen und mit wesentlich mehr Bürokratie befassen als zu normalen Zeiten. „Ich habe nach wie vor auch ohne Vorstellungen eine 60- bis 70-Stunden-Woche.“ Und zu diesem Zeit-Budget gehören auch, Originalton Tom Hirtz, „Klinkenputzen und Geld sammeln – ich wäre viel lieber bei einer Probe!“
Emil Ciocoiu, Maler
Sein Atelier hat eine Aachener Adresse, mitten in der Stadt. Hier malt Emil Ciocoiu seine wunderbaren Bilder – seine Visionen der Verständigung, seine künstlerischen Akzente für den Frieden, seine Porträts und seine Version Karls des Großen. In internationalen Ausstellungen, unter anderem in Paris, Brüssel, Cannes, Mailand, Wien, Berlin, Hamburg, Monte Carlo und Bukarest hat er seine stilistisch und farblich einzigartigen Bilder präsentiert und ist im In- und Ausland bekannt geworden. Jetzt herrscht Stille; denn Emil Ciocoiu wohnt in Belgien, und über viele Wochen durfte er gar nicht nach Deutschland ausreisen. Zuhause skizziert und zeichnet er, aber er malt nicht mit Ölfarben, schon gar nicht seine großformatigen und in jeder Beziehung überragenden Bilder. Eine Ausstellung in seiner rumänischen Heimat ist im Mai ausgefallen, eine weitere für September in Bukarest geplante verschoben.
Arnd Sartor, Oboist im Sinfonieorchester Aachen
Er ist Orchestervorstand und gibt deshalb auch die Stimmung des Orchesters wieder: bedrückend. Er persönlich habe nicht den Hauch eines „Urlaubsgefühls“ durch die freie Corona-Zeit gespürt. Während der –nun gelockerten – Corona-Zeit übt Arnd Sartor zuhause Solo-Literatur für Oboe. „Ich suche Noten raus, die ich schon lange nicht mehr gespielt habe.“ Und er hält sich oft im Freien auf, treibt noch mehr Sport als sonst , kümmert sich um die Bepflanzung auf seinem Balkon, liest Bücher, die er immer schon mal lesen wollte… Allzu konkrete Planungen sind trotz der Lockerungen, die seit Ende Mai für Theater und Konzert gelten, kaum möglich. Auf jeden Fall plant man mit kleineren Besetzungen als sonst. Dass die ursprünglich kreierte Spielzeit modifiziert stattfinden wird, ist klar. „Einige Produktionen waren bereits fertig, und wir hoffen, dass wir trotz der langen Unterbrechung die Fähigkeiten unseres Klangkörpers wieder eindrucksvoll zur Geltung bringen können.“ Wer hat an dieser Qualität schon Zweifel?!
Titelfoto: Sabine Mathieu