Kunst und Logik

Kunst und Logik

Da steht sie und kämpft mit der piepsenden Rückkopplung der Mikrofonanlage, dieser unangenehmen Störung für einen Menschen, der achtsam Präzision und Perfektion als seine Grundhaltung stets mit sich trägt. Sie ist überwältigt von den vielen Besucherinnen und Besuchern, die an diesem Nachmittag in den Kopermolen in Vaals ihr Publikum sind: Sie kennen und schätzen diese außergewöhnliche Künstlerin, die vor wenigen Tagen 85 Jahre alt geworden ist.

Sie ist Mathematikerin, Bildhauerin und Malerin. Und sie ist trotz des amtlich korrekten Eintrags ihres Geburtsdatums nicht alt, sondern jung – jung, da immer unterwegs mit Esprit, Kreativität, Ideen, Plänen, Organisation, auf Reisen, in Ausstellungen. Die Vielfalt ihrer Skulpturen und Bilder dokumentiert nicht nur eine atemberaubende Quantität, sondern natürlich und vor allem eine individuelle, originelle und deshalb unverwechselbare Qualität. Sie besticht mit der von ihr auf so hohem Niveau entwickelten Partnerschaft der Mathematik mit der Kunst, der Logik mit der Freiheit der Kreativität.

Sie spricht an diesem Nachmittag, natürlich ohne das enge Korsett eines sturen Manuskripts, über ihr Leben. Sie schildert ihre Jugend in der DDR, als sie nicht an die Oberschule wechseln durfte, weil ihr Vater als selbstständiger Metzgermeister von den verblendeten SED-Ideologen als Kapitalist abgestempelt wurde. Und sie wehrte sich, bat erfolgreich um einen Termin beim Leipziger Oberbürgermeister und erhielt von ihm einen Platz in der für sie wegweisenden Schule. Diese Art der Weichenstellung kennzeichnet par excellence ihren Willen, ihre Kämpfernatur, ihr Nie-Aufgeben-Wollen. Sie kommt in den Westen und studiert an der RWTH Aachen  Mathematik.

Sie erzählt von ihrer wissenschaftlichen Arbeit an der FH Aachen, wo sie viele Jahre Prorektorin für Forschung und Stellvertreterin des FH-Rektors war. Mehrmals betont sie die Freude, die sie als Lehrende an der Arbeit mit den Studierenden hatte, denen sie viel erklärt, erläutert, im wahrsten Sinne „beigebracht“ hat; denn sie stand, wenn es nötig war, sogar für ergänzende Nachhilfe zur Verfügung. Sie erwähnt die „Liebe ihres Lebens“, den Bildhauer und Maler Benno Werth, und sie könnte viel sagen über ihre eigene Kunst und deren ambitionierte Technik, Skulpturen aus einem Guss und ohne jede Schweißnaht zu schaffen. Aber sie nennt nur wenige Stichworte, weil sie weiß, dass ihre Werke, die dort oben im Rundgang der alten Kirche zu bewundern sind, ausdrucksstark ihre eigene und deutliche Sprache sprechen.

Neben ihr sieht man auf einer Stellwand die Kopie einer Urkunde, die sie als international renommierte Künstlerin ausweist, als ob ein solcher Formalismus überhaupt nötig wäre: „artexpo New York, 2024 Award Winner; BEST SCULPTURE AWARD“. Seit Ende 2014 stellt sie ihre eigenen Arbeiten aus, und der Erfolg hat sie und ihre Werke nach Florenz, Paris, Rom, Zürich, Tokio, New York, San Diego und Miami und in viele andere Städte unserer Welt geführt. 2019 wird sie auf der „Art Biennale London“ ausgezeichnet und erhält dort 2021 einen Award.

Dieser so erfrischende und unterhaltsame Sprung in die Stationen ihres Lebens ist eine schöne Erzählung, eine abwechslungsreiche Reise, an der sie ihre Gäste teilhaben lässt. Und natürlich fehlt darin nicht ein entschiedenes Plädoyer für die Mathematik, die geradezu imperatorische Absage an den falschen Stolz mancher Menschen, ausgerechnet in diesem Fach der unbestechlichen Logik eine schlechte Note wie eine Trophäe der Schulkarriere vor sich her zu tragen.

Danke, liebe Gisela Engeln-Müllges, für diesen anregenden, inspirierenden und nachhaltigen Nachmittag!

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