„Das Leben genießen“
Für Frank Kemperman ist es nach 29 Jahren das letzte Turnier als Vorstandsvorsitzender, ab Oktober wechselt er in den Aufsichtsrat des Aachen-Laurensberger Rennvereins (ARLV). Mit ihm und Michael Mronz, Geschäftsführer der Aachener Reitturnier GmbH (ART), habe ich für das Stadtmagazin BAD AACHEN gesprochen.
Herr Kemperman, sagen Sie doch bitte etwas zu Ihrer Gefühlslage vor Ihrem letzten Turnier als Vorstand.
Kemperman: Schön. Toll.
Und das heißt?
Kemperman: Ich gehe in Rente und freue mich darüber; denn irgendwann reicht es. Den ALRV gibt es fast 125 Jahre. Es geht hier nicht um Personen, sondern es geht um den Sport und die Pferde. Und wir dürfen das alles ein wenig mitgestalten. Nun ist für mich die Zeit in diesem Amt vorbei. Man wird ein bisschen älter, die jungen Leute rücken nach, kein Drama.
Wie viele Jahre waren Sie hier?
Kemperman: Am 1. September bin ich 29 Jahre hier, und etwas bleib‘ ich ja noch mit dabei.
Das bedeutet?
Kemperman: Die ALRV-Mitglieder haben mich ab Oktober in den Aufsichtsrat gewählt.
Dann ist es also gar kein kompletter Abschied. Das machen ja viele, sie wechseln vom Vorstand in den Aufsichtsrat und mischen sich von dort aus ins operative Geschäft ein.
Kemperman: Nein, der Aufsichtsrat ist nicht fürs operative Geschäft zuständig.
Bei Ihrem schwarz-gelben Nachbarn in der 4. Liga schon.
Kemperman: Meine Tätigkeit wird der Aufsichtsrat sein, nicht die Geschäftsführung und der Vorstand. An den Zuständigkeiten ändert sich nichts! Der Vorstand mit Birgit Rosenberg und Philip Erbers hat sich schon jahrelang gut vorbereitet, damit wird das kontinuierlich so weitergehen. Also: Irgendwann gehen alle mal in Rente, auch der junge Mronz. Es war eine wunderschöne Zeit, das war mein Leben.
Mronz: Das ist dein Leben.
Kemperman: Da hat er recht. Das ist mein Leben und wird es auch bleiben.
Wie reagiert ihre Frau auf diesen Satz?
Kemperman: Sie spricht in letzter Zeit immer öfter von „uns“.
Reden wir über das Turnier 2022. Was wird anders sein als in den vergangenen Jahren, spielt Corona noch eine Rolle?
Kemperman: Das soll anders sein: endlich wieder ein normales Turnier ohne Begrenzungen und Masken. Ich hoffe sehr, dass wir hier feiern können vor vollbesetzten Rängen, mit schöner Atmosphäre. Ich hoffe, dass das wieder normal wird, das wäre schön.
Gibt es neue Akzente im sportlichen Bereich?
Mronz: Es gibt zeitgleich zum CHIO die FEI Youth Equestrian Games mit 30 jungen Talenten im Alter von 14 bis 18 Jahren aus 30 Nationen. Das sollte ursprünglich ein Teil der Olympischen Jugend-Sommerspiele in Dakar sein, die sind auf 2026 verschoben worden. Für uns in Aachen ist das etwas sehr Besonderes , weil Jugend für uns ein zentrales Thema ist. Die Investitionen der letzten Jahre wollen wir in diesem Bereich weiter intensivieren.
Die Sponsoren sind trotz der ausgefallenen und verschobenen Turniere geblieben.
Mronz: Dass Wirtschaftspartner in einer solchen Situation bleiben, ist nicht der Normalfall. Wir sind stets im intensiven Austausch mit unseren Partnern über Leistung und Gegenleistung. Da geht es um die Frage, wo wir unser Produkt noch besser machen können, um den Unternehmen Lösungsangebote für ihre Aufgabenstellung zu geben. Da haben wir uns während der Corona-Zeit in verschiedenen Bereichen noch weiterentwickeln können.
Zum Beispiel wo?
Mronz: Etwa bei der Digitalisierung, beim digitalen CHIO-Magazin, das einmal im Monat ausgestrahlt wird. Oder beim CHIO-Aachen-Campus, den wir während der Corona-Zeit an den Start gebracht haben. Der Campus wird in Zukunft den CHIO ein zusätzliches prägen – so wie damals die Installation der Flutlichtanlage, die hervorragende Abendveranstaltungen ja erst möglich gemacht hat. Damals haben viele gefragt, was das soll, wir sind sogar von einigen beschimpft worden.
Beschimpft wegen der Flutlichtanlage?
Mronz: Ja, von einem früheren Bundestrainer, der mir vorwarf, so etwas könne nur einer machen, der keine Ahnung vom Sport hätte. Das sei eine Katastrophe.
Sagte er „vom Sport“ oder „vom Reitsport“?
Mronz: Vom Pferdesport, genau. Ein Jahr später kam er und sagte: „Das ist ja super, wie Ihr das umgesetzt habt.“ Und heute kann sich keiner mehr den CHIO Aachen ohne Flutlicht vorstellen mit der Eröffnungsfeier, dem Turkish-Airlines-Preis und dem Merdes-Benz-Preis der Nationen. Der CAMPUSs wird auf eine andere Art und Weise auch neue Akzente setzen. In einigen Jahren werden die Menschen sagen: Das ist ja Wahnsinn, dieser CHIO Aachen CAMPUS.
Waren diese Flutlichtveranstaltungen Wunsch der Sponsoren?
Mronz: Nein, wir müssen uns regelmäßig die Frage stellen, wie wir uns präsentieren. Unser Privileg, für Frank und mich, ist es, uns für eine bestimmte Zeit hier einbringen zu dürfen in eine Veranstaltung, die eine unglaublich große Geschichte hat. Welchen Beitrag können wir leisten, um diese Geschichte ein Stück mit zu schreiben? Uns hat nicht angetrieben, etwas zu verwalten, sondern etwas zu gestalten, etwas weiter zu entwickeln. Durch die Flutlichtveranstaltungen sind wir in der Lage, unseren Sport für weitere Zielgruppen zu erschließen. In der Turnierwoche erreiche ich am Fernsehschirm nachmittags ein anderes Publikum als abends. Da stellt sich für uns nicht die Frage, ob das der Erwartungshaltung der Wirtschaftspartner entspricht, da geht es vor allem um die Erwartungshaltung der Besucherinnen und Besucher und der TV-Zuschauer.
Wird die Zuschauerzahl wieder auf üblichem Niveau sein, dürfen alle Plätze verkauft werden?
Mronz: Ja, wir dürfen volle Auslastung haben.
Sie erwähnen den CHIO-Aachen-Campus. Die Palette reicht vom Kids-Camp bis zu Erwachsenen, ist das trotz Corona schon gut angelaufen?
Kemperman: Ja, in verschiedenen Bereichen. Das Kids Camp haben wir schon ein paarmal gemacht. Da haben die Allerkleinsten Kontakt mit Ponys. Aber es gab auch Schulungen von jungen Richterinnen und Richtern und Parcoursbauern. Das ist die Zukunft. Und im Exzellenzprogramm kommen Talente zu uns, die mit unseren Head Coaches Jos Lansink und Isabel Werth trainieren. Das kommt super, super an. Es gibt zudem Kongresse und Workshops. Letztes Wochenende hatten wir einen Kurs mit Rob Ehrens, dem ehemaligen niederländischen Springreiter und Bondscoach. Da ging es nicht nur ums Reiten, sondern auch um die Pflege der Pferde, es waren Veterinäre da, es ging um Futter, Ernährung, Beratung in der Physio- und auch Psychotherapie, Versicherung, alle Themen rund um den Pferdesport werden hier angeboten bis hin zu einem Workshop für Amateurfotografen.
Wie groß ist der Einzugsbereich für das Angebot des CHIO Aachen CAMPUS?
Kemperman: International. Angefangen haben wir mit Deutschland und den Beneluxländern, jetzt haben wir Anmeldungen aus ganz Europa, und das wird sehr bald weltweit sein. Die Sprache ist grundsätzlich Englisch.
Über den CAMPUS sollen U25- und U21-Prüfungen in das Turnier integriert werden.
Kemperman: Ja, wir haben am ersten Wochenende Prüfungen mit den besten 20 Springreitern, die nach diversen Sichtungen zum Finale nach Aachen kommen.
Parallel zum Turnier findet am 28. und 29. Juni im „Liebig“ wieder der Kongress „#neuland“ statt. Da geht es um die Rolle des Sports in der Gesellschaft.
Mronz: Es geht um Nachhaltigkeit des Sports, um Sport mit Menschen mit und ohne Behinderung, um die Gleichstellung von Frau und Mann im Sport. Da haben wir es im Reitsport einfach, weil bei uns schon seit vielen, vielen Jahren Frau und Mann gegeneinander in der gleichen Prüfung mit gleichem Preisgeld antreten, das ist in vielen anderen Sportarten bisher nicht der Fall. Wir wollen nicht nur reden, sondern Kompetenzen zusammenholen. Mit dabei sind vom Fußball unter anderem Hans-Jürgen Watzke, Uli Hoeneß, FC-Köln-Präsident Werner Wolff, die Ligenchefs vom Eishockey bis zum Handball, ARD, ZDF und andere Player aus dem Medienbereich. Und wir werden erstmalig in diesem Kongress einen Award vergeben, mit dem wir eine Persönlichkeit oder eine Institution auszeichnen werden, die in den Bereichen Nachhaltigkeit und Diversity etwas Besonderes geleistet hat.
Herr Kemperman, vor einem Jahr habe ich Sie mit dem Aktenordner „Halle 22“ fotografiert. Da geht um die neue Reitarena.
Kemperman: Den Aktenordner gibt es immer noch.
Ist die 22 noch aktuell, oder müssen sie die 3 auf den Aktendeckel schreiben?
Kemperman: Die 22 war mal das Ziel der Fertigstellung. In 2011 sind wir zum ersten Mal zum Oberbürgermeister gegangen und haben das Vorhaben vorgestellt, vor elf Jahren!
Also hat sich in dem Jahr nichts weiter bewegt?
Kemperman: Die Stadt hat den Kaufvertrag mit dem Bau- und Liegenschaftsbetrieb des Landes unterschrieben, aber die Umsetzung bis zum Abriss ist nicht so einfach. Die Stadt Aachen gibt jetzt einen Masterplan in Auftrag. Wir brauchen die Erweiterung für den Campus und unsere Jugendarbeit.
Mronz: Das Jugendthema ist für uns zentral. Wir haben uns nie über das Geld definiert, sondern immer über die Marke CHIO Aachen, ihre Geschichte, die Verbindungen, die Zuschauer, die Atmosphäre, etwa beim Abschied der Nationen. Das müssen wir frühzeitig aufbauen und eine dauerhafte Identifikation mit dem CHIO schaffen.
Abschied der Nationen ist ein gutes Stichwort. Wie verabschiedet sich denn Frank Kemperman?
Kemperman: Ich verabschiede mich nicht, ich bleibe hier und kriege nur eine andere Rolle. Und ich geh in Rente.
Was machen Sie am ersten Tag nach Ihrem Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat?
Kemperman: Ich bereite mich auf meine Arbeit als Aufsichtsratsmitglied vor.
Erst so spät?
Kemperman: Vielleicht auch schon vorher.
Wie oft werden Sie in Aachen sein?
Kemperman: Hin und wieder werde ich hier spazieren, schaue mir die Arbeiten an und hoffentlich den Baufortschritt von neuer Halle und Campus.
Sie drohen dem Vorstand also nicht mit ständiger Anwesenheit?
Kemperman: Nein, die sollen arbeiten. Wir haben super Leute da. Und wenn sie meinen Rat brauchen und ich helfen kann, kennen sie ja meine neue Telefonnummer. Meine wichtigste Aufgabe ist es, mich mehr um meine Familie zu kümmern, Opa zu sein.
Was wird Ihnen fehlen, wenn Sie nicht mehr im operativen Geschäft sind?
Kemperman: Die Kollegen, die Mannschaft, der Stress. Gesunder Stress ist gut, aber irgendwann reicht es.
Und Ihre persönliche CHIO-Bilanz lautet in wenigen Sätzen…
Kemperman: Ein Lebenstraum! Das absolute Highlight waren natürlich 2006 die Weltreiterspiele.
Was oder wer hat Sie geärgert?
Kemperman: Wenn etwas nicht hundertprozentig läuft, nicht das Beste vom Besten ist, dann ärgere ich mich. Oder wenn einer falsch parkt, dann kann ich explodieren. Ich bin manchmal vielleicht zu energisch.
Hatten Sie in den 29 Jahren auch Lieblingsreiterinnen und -reiter?
Kemperman: Selbstverständlich nicht! Klar hatte ich die, Jos Lansink zum Beispiel, mein Landsmann. Man hat so seine Freunde und Bekannte. Jos war für mich die absolute Nummer eins. Es gibt eben Reiter, die man gerne oder weniger gerne sieht, aber darüber sollte man nicht öffentlich sprechen.
Spielt beim Turnier die Ukraine eine Rolle?
Mronz: Der Verband hat eine klare Linie, Belarus und Russland sind von allen Turnieren ausgeschlossen worden. Bei der Eröffnungsfeier sammeln wir Geld für die Ukraine.
Herr Mronz, was wünschen Sie ihm für die Zeit nach dem 30. September?
Mronz: Dass er möglichst oft noch bei den Jour-fixe-Treffen dabei ist.
Kemperman: Da bin ich gerne dabei.
Mronz: Und Frank ist durch und durch ein Pferdemensch, und jetzt hat er gemeinsam mit seiner Frau mehr Zeit, Pferdeturniere als Opa zu besuchen und zwei, drei Tage länger in der jeweiligen Stadt zu bleiben.
Kemperman: Und das Leben zu genießen!