Roncalli, Köln und Bernhard Paul

Roncalli, Köln und Bernhard Paul

Ein so schöner Abend war das. Eine großartige Mischung aus Kultur, Farben, Artistik, extravaganten Kostümen, aus Nostalgie und Moderne: Circus Roncalli zeigt sich derzeit in Köln von seiner besten Seite. Roncalli-Chef Bernhard Paul hat ein einzigartiges Meisterwerk komponiert. Darüber habe ich in der Samstagausgabe der Aachener Zeitung und der Aachener Nachrichten berichtet.

Köln. Da sitzt er wieder. Dieser Platz erlaubt ihm den Blick auf jeden, der über die kleine Treppe in den Café-Wagen spaziert. Bernhard Paul genießt diesen Abend, der wie eine Rückkehr nach Hause wirkt: nach Köln, mitten auf den Neumarkt, wo Roncalli immer gastiert.

Bernhard Pauls „Circus Theater Roncalli“ feiert nach fast drei Jahren Corona-Zwangspause Premiere! Der Direktor hat das neue Programm natürlich zur Chefsache gemacht, und es ist seine persönlichste Choreografie überhaupt. Seine Träume, seine Erinnerungen, seine Biografie, seine Liebe gleichermaßen zur Nostalgie und zur Moderne: Dieses so feine, so perfekte und so scheinbar spielerische (also tatsächlich hart erarbeitete und perfekt geplante) Drehbuch ragt an diesem Abend als Gegenentwurf hinein in eine Welt, in der Krieg wieder eine schreckliche Rolle übernommen hat. Bernhard Paul zieht kurz vor seinem 75. Geburtstag alle Register seiner Kreativität, seiner puren Freude am Möglichen und Unmöglichen. Dieser glänzende Stilist hat gewiss eines seiner besten Kunstwerke geschaffen. Überragend.

Um 20.13 Uhr wird im großzügig geheizten Zelt der Vorhang zur Seite geschoben, und Bernhard Paul erscheint. Es gibt Beifall und Jubel, obwohl er noch keinen Ton gesprochen hat. Und dann sagt er: „Schönen guten Abend. Es ist ein unglaublicher Moment, hier auf dem Kölner Neumarkt zu stehen und ein volles Zirkuszelt zu sehen.“ Er spricht das „hochverehrte Publikum“ an: „Roncalli ist in diesen furchtbaren Zeiten nicht über die Wupper gegangen, wir haben überlebt, wir sind wieder guter Dinge.“

Die lange Pause, zwei Jahre kein einziges Gastspiel, keine Artistik, keine Akrobatik, keine Clownerie, keine kostümierte Farbenfreude, keine Manege, kein Publikum – das konnte sich Bernhard Paul „in 45 Jahren nicht vorstellen“. Er hat das auf der einen Seite wie „eine Marter, eine Folter“ empfunden, auf der anderen aber auch als „Zeit für Kreativität“. Und das heißt konkret: „Ich habe meine Memoiren geschrieben.“ Und: „Wir haben eine Mode-Firma gegründet für Roncalli-Mode.“ Und: „Wir haben einen Vertrag gemacht mit einer Filmfirma, die eine Roncalli-Dokuserie dreht.“ Und: das neue Programm „All for Art for all“, „Alles für die Kunst, Kunst für alle.“

Bitte der Reihe nach! Das Buch mit seiner Lebensgeschichte heißt „Meine Reise zum Regenbogen – die Autobiografie des Roncalli-Gründers“ und erscheint am 12. September im Brandstätter-Verlag (256 Seiten). Die Roncalli-Mode wird mit einer Firma aus Oberhausen entworfen. Gezeigt wurden erste Kreationen schon bei einer Modemesse in New York. Die mehrteilige TV-Serie ist vertraglich vereinbart und wird bald realisiert. „Eine Doku über mein Leben und Roncalli. Meine Familie macht auch mit“, erzählt Bernhard Paul.

Das Programm für die Kunst, Kunst für alle: Das ist sein Leben. „Ich habe Architektur und Kunst studiert, war Art Direktor in einem Magazin und in einer internationalen Agentur, mein ganzes Leben ist von Kultur geprägt.“ So ist das Programm entstanden. Sein Programm. Sein Circus Roncalli, seine Kultur, sein Lebenswerk. Mondrian, Oskar-Schlemmer-Ballett, Beatles: Das sind stellvertretend nur drei Namen für dieses wunderbare Portfolio der aktuellen Produktion.

Wir sehen – sozusagen im Vorprogramm – Hologramme mit Bildern von Henri de Toulouse-Lautrec, Albrecht Dürer, Edgar Degas, Wassily Kandinsky. Und später erscheinen Künstlerinnen und Künstler in aufwändigen Kostümen und Bilderrahmen mit Motiven von Rembrandt über Frida Kahlo, Salvador Dali, van Gogh bis zu Karl Lagerfeld und den Beatles. Diese tänzerische Verspieltheit, diese choreografische Raffinesse, diese humorvolle Dramaturgie dokumentieren eindrucksvoll, dass in dieser Manege Kultur entsteht und sich verbreitet. All for Art for all.

„Köln ist was Besonderes“, sagt Bernhard Paul, ein Österreicher im Rheinland, als wir im Zirkuswagen plaudern. Und er ist hier mit seinem internationalen Ensemble, mit Italienern, Spaniern, Kanadiern, US-Amerikanern, Deutschen, Briten, Ukrainern, Russen. Ob sie über den Krieg reden, möchte ich wissen. „Sie leiden alle darunter“, sagt Paul. „Aber im Zirkus wird grundsätzlich nicht über Politik und Religion gesprochen. Wir gehen an die Arbeit in tiefer Freundschaft.“

Maria Sarach und ihre Handakrobatik im Mondrian-Stil. Das Kostüm schuf die Stardesignerin Marisa Miranda.

Maria stammt aus einer russischen Zirkusdynastie. Sie ist eine perfekte Handstand-Akrobatin und interpretiert mit ihrem Körper Bilder im Mondrian-Stil und im Mondrian-Kostüm. Die „Yesterday Boys“ haben mit Bernhard Paul eine Hommage an die Beatles erarbeitet. Die vier Ukrainer präsentieren waghalsige Sprünge in atemberaubender Akrobatik. Ihre Kostüme wurden von Gordon Millings, dem Originalschneider der Beatles, exklusiv für diese Roncalli-Nummer angefertigt. Das Duo Minasov aus Russland begeistert mit „Quick Change“, dem Kleiderwechsel im Wimpernschlag-Takt. Wir lachen mit und über die schrullige Krissie Illing aus England, mit dem in Russland und in der Ukraine aufgewachsenen Clown Anatoli Akerman, wir amüsieren uns über Jonglagen, Slapstick, Charme und Eleganz von Zeremonienmeister Jemile Martinez. Und staunen über viele andere. „All for Art for all“ ist ein farbenfrohes, abwechslungsreiches und auch multimediales Spektakel, das Theater, Film, Malerei, Musik und Zirkus vereint.

Bernhard Paul

Pläne hat er, der Bernhard Paul. Immer. Und noch immer mit seinem Museum, das auf dem opulenten Gelände des rechtsrheinischen Roncalli-Winterquartiers entstehen soll – und wird, wenn die Stadt Köln endlich die Baugenehmigung erteilt. „Ich habe der Oberbürgermeisterin ausrichten lassen: ‚Frau Reker, wenn die Genehmigung erst nach meinem Tod erteilt wird, rede ich nie mehr ein Wort mit Ihnen‘.“ Angeblich kommt jetzt wieder Bewegung in die langwierige Angelegenheit. Das Museum wäre ein Gewinn für Köln, für Roncalli, für alle Zirkus- und Musikfreunde, für die Nostalgiker unter uns.

Gensi, der Weißclown, ist dabei, seit so vielen Jahren, seit 2005. Fulgenci Mestres heißt der Katalane, der so viel Poesie in die Manege bringt. Er steht für die stille, die feinsinnige, diese so typische Attitüde von Roncalli. Aber zu den ganz individuellen Akzenten Roncallis gehört heute auch die weltweit einzigartige 300-Grad-Holografie, und das Roncalli Royal Orchestra mit Chef Georg Pommer, seinen Spitzenmusikern und seinem typischen Sound schafft die klangvolle Verbindung von Nostalgie und Moderne.

Es herrscht an diesem Abend nicht die überschwappende Euphorie einer der Pandemie irgendwie entkommenen Gesellschaft von Artisten, Künstlern und Dramaturgen in einem zirzensischen Mikrokosmos, der sich da auf dem Kölner Neumarkt inszeniert. Dazu ist die Gegenwart zu ernst. Aber am Ende dieser Vorstellung sind wir emotional tief berührt von der phantasievollen Melange aus Farben, Formen und Kostümen, die charakterisiert werden von der Grazilität sich elegant bewegender Menschen. Sie sind in jeder Sekunde ihrer Performance Verschworene aus verlorenen unbeschwerten Zeiten. Faszination ist heute Abend ihre einzige Norm. Und sie demonstrieren eine ebenso sensible wie angemessene Wiederbelebung dieser Art von Kultur; denn Zirkus ist nichts anderes als Kultur, und Roncalli ist ihre Avantgarde. Kultur statt Krieg, Kunst statt Gewalt. „All for Art für All“.

Roncalli hat vielen Artisten während der Zwangspause finanziell geholfen, auch dank der Kurzarbeit und der staatlichen Hilfen. „Das hat uns gerettet“, gibt Bernhard Paul gerne zu. „Man muss ja auch mal was Positives sagen. Ohne diese Hilfen hätten wir es nicht geschafft.“

Und wäre dieses extraordinäre Programm Theorie geblieben. Zwei Fragen zum Schluss:

Tritt er noch als Clown Zippo auf? „Heute Abend nicht, aber vielleicht an einem anderen Abend, ganz spontan. Und dann freue ich mich, wenn die Leute sich freuen.“ Gastiert Roncalli mal wieder in Aachen. „Ja, ich hoffe nächstes Jahr, wir sind in Gesprächen.“

Fotos: Bernd Mathieu

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