Der Krieg.

Der Krieg.

Der lupenreine Demokrat hat nichts zu sagen über seinen Freund, den lupenreinen Demokraten in Moskau. Der lupenreine Demokrat aus Hannover schweigt. Was sagen die sozialen Demokraten über den lupenreinen Demokraten in ihren Reihen? Und wann sagen sie ihm deutlich und öffentlich und klar: Das war’s bei und mit uns, lupenreiner Ex-Genosse.

Gewiss: Das ist ein nebensächlicher Aspekt in diesen deprimierenden Stunden. Und doch hätte man sich von einem ehemaligen Bundeskanzler gerade in diesen Stunden gewünscht, dass er die lupenreine Klappe aufreißt und etwas sagt, etwas Entschuldigendes, Bedauerndes, seinen Irrtum Zugebendes.

(Mittlerweile hat er sich über Linkedin kurz geäußert. Es habe Fehler auf beiden Seiten gegeben. „Aber auch Sicherheitsinteressen Russlands rechtfertigen nicht den Einsatz militärischer Mittel.“) Siehe Anhang unten!

Der Westen – und Gerhard Schröder war Jahre lang ein Teil seines Führungspersonals – hat sich verkalkuliert in seiner sich selbst beruhigenden Einschätzung, was Putin angeht. Und mehr und grundsätzlicher: Vor allem der europäische Westen hat sich nach dem Ende des Kalten Krieges in die angenehme, aber, wie wir spätestens seit heute wissen, verheerende Rolle an der globalen Seitenlinie begeben.

Vieles so oft Vorhergesagte trifft mit einem Schlag heute ein und zu: die Analyse über das schwache Europa, seine nicht vorhandene eigenständige Außen- und Sicherheitspolitik, seine sträflich vernachlässigte Vertiefung, der ständige Streit untereinander vor allem mit den osteuropäischen Staaten, die zuweilen fatale Einschätzung der zum Pazifik ausgerichteten Politik der USA schon unter Obama, die verschwommenen Erklärungen zur Nato-Erweiterung, die aus Bequemlichkeit daher geredeten leeren Versprechen (übrigens auch in Richtung Türkei und Balkan), der katastrophale Zustand der deutschen Bundeswehr, die man heute in Reminiszenz an die „Spiegel-Affäre“ (1962) als „bedingt abwehrbereit“ bezeichnen muss, ohne als Vaterlandsverräter gebrandmarkt und in U-Haft genommen zu werden.

Welche globale Rolle spielt „der Westen“ überhaupt? Auch diese häufig gestellte Frage wird am heutigen Tag gnadenlos auf die Tagesordnung geworfen. Wir haben zu lange aus den Augen verloren, wie sich die Gegenspieler der Demokratie nach dem Kalten Krieg entwickelt, positioniert und enthemmt haben. Und wir haben geglaubt, das Ende des Kommunismus sei die historische Weiche für ein neues internationales Zeitalter ständiger Blüte gewesen. Und wir haben übersehen, dass der neue komplett rücksichtslose Kapitalismus mit seinen globalen Plagen, Oligarchen, Korruptionsbetrügern, staatlichen Cyberkriminellen und organisierten Verbrechern eben keine neue Phase internationaler Harmonie darstellt.

Weckrufe hat es reichlich gegeben: mit schwerwiegenden Finanzkrisen und damit verbundenem Wohlstandsverlust, mit ungelösten Migrationsproblemen und damit provozierten internationalen Konflikten, mit neuen Seilschaften und sich aufplusternden Diktatoren von China bis Nordkorea, von Russland bis nach Afrika oder sich aufspielenden Autokraten von Ungarn bis zur Türkei. Zu verhindern war und ist das alles von Deutschland und aus der EU heraus nicht, aber die Reaktionen darauf müssen andere sein: Wenn nicht jetzt, wann denn sonst soll es eine gemeinsame Europäische Verteidigungsgemeinschaft geben, die diesen Namen verdient? Wann eine gemeinsame europäische Energiestrategie, die sich nicht nach egoistischen nationalen Interessen zerstäuben lässt? Wann einen spürbaren und nachhaltigen Investitionsschub für die Bundeswehr, ihre, sagen wir es doch frei heraus: Aufrüstung?  Und wie schützen wir konsequent und ohne falsche Rücksichten unsere Demokratie?

Europa im Krieg. Das Datum 24. Februar 2022 ist gewiss historisch, und uns bleibt nur heute mitten in diesem bizarren und traurigen Gefühl der Ohnmacht die Hoffnung, dass dieses große Russland, in dem nicht nur Kriegstreiber und Lügner wie Putin und seine Bande leben, nicht als der Verursacher eines Weltbrandes in eine dann von wem und wie auch immer zu schreibende Geschichte eingehen wird. Das hat Putin in seiner Rede am Mittwoch wörtlich gesagt: „Alle, die sich einmischen und versuchen wollen, uns zu stören, oder Bedrohungen für unser Land, für unser Volk zu schaffen, müssen wissen, dass Russlands Antwort ohne Verzögerung kommt und für euch Folgen haben wird, wie ihr sie in eurer Geschichte noch nie erlebt habt. Wir sind zu bereit zu jeder Entwicklung der Dinge. Alle dafür nötigen Entscheidungen sind getroffen.“

An diesem Tag, dem rheinischen Fettdonnerstag, ist alle Fröhlichkeit erstickt. Säuseltöne brauchen wir auch nicht mehr, davon haben wir in den Talkshows genug gehört. Und von ach so superklugen Menschen wurden in ach so superklugen Social-Media-Einträgen die USA wegen ihrer Warnungen vor einem russischen Einmarsch kritisiert. Putin ist am Ende mit seiner Macht, deshalb führt er Krieg. Und keiner in seinem Umfeld traut sich, ihm zu widersprechen. Bekannte Schemata. Brandgefährliche. Auszuschließen ist nichts mitten in seinem wahnsinnigen Glauben, er könne die angeblich goldenen Zeiten des großen Sowjetreiches wenigstens teilweise wieder etablieren.

Alle werden leiden: an erster Stelle die Ukrainer, dann der Westen wegen der unbedingt nötigen Sanktionen und ihren schmerzhaften Folgen auch für uns. Diese Konsequenzen muss der Westen tragen und vermitteln. Weil es keine Alternative sein kann, Putin weiter gewähren zu lassen und damit unsere Demokratie zu verraten.

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