Von Moll bis Gabriel: die Welten der SPD.
Irgendwie war das wieder mal eine typisch sozialdemokratische Woche, und an ihrem Ende ist man – auch hier: wieder mal – nicht völlig frei von Mitleid, einer ziemlich gnadenlosen Form von Kritik.
Doch das Beste zuerst! Die Rede der SPD-Bundestagsabgeordneten Claudia Moll zum Kohleausstieg war genau das, was man sich unter „sozialdemokratisch“, „volksnah“, „empathisch“, „aufrichtig“, „ehrlich“, „engagiert“, „schnörkellos“ und „klar verständlich“ vorstellt. In runden fünf Minuten fasste die Altenpflegerin aus Eschweiler das Wesentliche des Kohleausstiegs zusammen. Und sie beschrieb dabei „das Wesen eines guten Kompromisses“. Den erreiche man, wenn „keiner der Beteiligten zu 100 Prozent zufrieden ist“. Sie sprach auch von der Sicherheit für die Kumpels. „Das ist eine Frage des Respekts.“ Das Geld des Bundes sei nicht für die Konzerne, sondern fördere „gute und nach Tarif bezahlte Arbeit“. Das war eine schöne sozialdemokratische Visitenkarte, die Claudia Moll dem Deutschen Bundestag und der Öffentlichkeit präsentierte und mit einem glasklaren Bekenntnis krönte: „Ich bin froh, dass Sozialdemokraten regieren.“
Doch nicht die Abgeordnete Claudia Moll, die so wohltuend ohne die abgehobene Wortakrobatik des Berliner Raumschiffs sprach, bestimmte die Schlagzeilen der Woche, sondern Sigmar Gabriel. Der Mann hat so viele Fähigkeiten, er hat gute Bücher geschrieben (vor allem dieses: „Zeitenwende in der Weltpolitik: Mehr Verantwortung in ungewissen Zeiten“), er hat anregende Beiträge in manchen Foren und TV-Formaten geliefert, und er hat jetzt sich und seiner Partei – mal wieder – geschadet, ausgerechnet als Berater des Fleischproduzenten Tönnies.
Richtig ist, dass es keinen rechtlichen Verstoß und formalen Interessenskonflikt gibt, jedoch einen moralischen Fehltritt. Was sonst ist es, als Wirtschaftsminister dieses Unternehmen massiv zu kritisieren und sich relativ kurze Zeit später dort auf die Honorarliste setzen zu lassen? Und das Desaster dann so zu kommentieren: „Für normale Menschen sind 10.000 Euro viel Geld. Aber in der Branche ist das kein besonders hoher Betrag.“
Den Verlust sozialdemokratischer Bodenhaftung müssen wir nun endgültig auch bei Sigmar Gabriel konstatieren. Eigentlich überflüssig; denn die SPD übernimmt diese Rolle selber, sie muss es sogar, um ihr Gesicht zu wahren. Stephan Weil, Ministerpräsident von Niedersachen, nannte Gabriels Verhalten „befremdlich und peinlich“. Die amtierenden SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans kommentierten den Gabriel-Coup so: „Für jeden aufrechten Sozialdemokraten ergibt sich dabei aus unseren Grundwerten, an wessen Seite man sich begibt und zu wem man besser Abstand hält.“ Der Vorsitzende der NRW-SPD, Sebastian Hartmann, bezeichnete Gabriels Verhalten „völlig inakzeptabel.“ Das muss man nicht weiter kommentieren.
Personalie Nr. 3: Eva Högl. Diese SPD-Abgeordnete drängte sich vor Wochen so massiv in das Amt der Wehrbeauftragten, dass in der SPD bemerkenswerte Kollateralschäden entstanden. Wer so forsch nach vorne prescht, muss jetzt liefern. Die neue Wehrbeauftragte hat in dieser Woche die Abschaffung der Wehrpflicht einen „Riesenfehler“ genannt. Sie hat nicht gefragt: Welchen Einfluss hatte die Wehrpflicht tatsächlich auf die Vermeidung von rechtsradikalen Tendenzen in der Bundeswehr? Sie hat auch nicht geprüft, ob die Wiedereinführung der Wehrpflicht derzeit überhaupt eine realistische Perspektive darstellt. Und deshalb musste sie sich von eigenen Genossen korrigieren lassen. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Fritz Felgenstein ist Obmann im Verteidigungsausschuss und sagt, es gebe für Wehrpflichtige „keine Unterkünfte, kein Material und auch keine Ausbilder“. Die Wehrpflicht löse vielmehr eine „bis zu zehn Jahre gelähmte Einsatzbereitschaft“ aus.
Olaf Scholz arbeitet unterdessen unverdrossen als Bundesfinanzminister solide in der Corona-Krise und gleichzeitig mit dem hohen Risiko immer höherer Verschuldung. Er verbindet dies mit der Zuverlässigkeit eines unaufgeregt und kompetent wirkenden Vizekanzlers, dem kaum noch die Kanzlerkandidatur zu nehmen ist, wenn die SPD mehrheitlich ihre Sinne sortiert und dann beisammenhält – wenigstens eine Zeitlang.
Wie Esken und Walter-Borjans – beim Kampf um den SPD-Vorsitz wortgewaltig und erfolgreich gegen Scholz angetreten – das dem Wahlvolk schlüssig präsentieren werden: Darauf dürfen wir gespannt sein. Die SPD hat sich auch dieses heikle Thema in Eigenverantwortung beschert. Zur Beruhigung sei erwähnt, dass beide durchaus Erfahrung mit solchen Konstellationen haben. Der „SPD-Zukunftsdialog“ trägt die Überschrift: „Wie aus der Krise neue Solidarität wachsen kann.“ Gemeint war Corona…
Selbstverliebte Inszenierungen von Genossinnen und Genossen kann sich die SPD nicht leisten. Sie setzt in der Koalition mit Ministern wie Olaf Scholz oder Hubertus Heil bemerkenswerte Akzente und muss sich auf ihre Stärken und die mit ihnen verbundenen Persönlichkeiten konzentrieren. Nur so bewahrt und mehrt sie den Rest an Volksparteiensubstanz, den sie noch hat und den eine gut funktionierende Demokratie braucht.