Die Macht der Manege. Der Film.
Seit gestern steht sie in der ARD-Mediathek ausstrahlend bereit, die dreiteilige Dokumentation über Bernhard Paul und Roncalli. Sie vereint historische Präzision und feines Gespür für die Retrospektive der Konflikte, Kämpfe, Kontroversen, der Kreativität und vor allem: der Kunst und Kultur zirzensischer Provenienz. Sie ist ein Glücksfall für die Zuschauerin und den Zuschauer, gewiss auch für den Zirkus selber, der uns hier in einer spannend vielseitigen Mischung aus Interviews, Filmbeträgen, Stimmen und Stimmungen begegnet.
Der Drehbuchautor beleuchtet abwechslungsreich die verschiedensten Aspekte, Eigenschaften und Charakteristika des Bernhard Paul und lässt diesen Film für uns ablaufen, beginnend mit dem achtwöchigen Roncalli-Gastspiel 2023 in New York. Bernhard Paul sitzt fast malerisch entspannt in einem Taxi, das durch die Straßen Manhattans fährt. Es scheint, als könne er es selber noch nicht fassen, hier in unmittelbarer Nachbarschaft zur Metropolitan Opera sein Programm „Journey to The Rainbow“ präsentieren zu dürfen.
In den nun folgenden rund 120 dreigeteilten Minuten zeigt uns die Rückblende, welche Energien, Ideen, Katastrophen, Streitigkeiten, Erfolge und Enttäuschungen auf dem Weg zu dieser Taxi-Fahrt Pauls lagen und wie steinig zuweilen die Realisierung der Träume des jungen Bernhards waren.
Pauls Idee von einem anderen Zirkus ist ein exzellentes Beispiel dafür, dass Strukturwandel kein Niedergang, sondern Wiederbelebung sein kann. Die Erschaffung von etwas völlig Neuem stieß auf die einhellige und schroffe, manchmal sogar bösartige Ablehnung der damals etablierten, aber schon ums Überleben kämpfenden Zirkus-Größen. In der Überheblichkeit ihres Tunnelblicks sprachen sie Roncalli die Berechtigung ab, sich überhaupt Zirkus zu nennen, diskreditierten Pauls Artisten und seine Choreografie. Sie übersahen dabei, dass der „alte“ Zirkus keinen Bestand und auch keinen Bestandsschutz mehr haben würde. Sie empfanden Veränderung als Bedrohung. Die ganze Aufregung sich selbst bemitleidender Konkurrenten und ihr eigenes Versagen entlarvten sich schnell als schlecht inszenierter Neid.
Dass auch Bernhard Paul rhetorisch kein Kind der Zurückhaltung ist, mag uns nicht überraschen und angesichts der Anfeindungen und Konflikte mit ehemaligen Weggefährten wie André Heller nicht wundern. Die Dokumentation arbeitet das ebenso deutlich wie geschickt heraus, ohne an die engen Grenzen justiziabler Umstände zu kratzen. Dass sich Paul – besonders von Heller – hereingelegt fühlte, bleibt als wesentlicher Eindruck zurück.
Da sind wir in diesem Teil der Beschreibung nun bei Fumagalli gelandet. Der italienische Clown Gianni Huesca feierte mit dieser Figur große Erfolge, und legendär ist das immer wiederkehrende „Bienchen, Bienchen gib mir Honig“. Bernhard Paul hat diese Nummer konzipiert, einstudiert und Huesca in Fumagalli verwandelt. Dass der Roncalli verlassen und seinen eigenen Zirkus mit Pauls Idee gründete, hat er ihm nie verziehen. Es hat ihn, so spürt man das in jeder Faser dieser Szenen im Film, geradezu verbittert. Bernhard Paul, der so gerne als Clown Zippo aufgetreten ist, hatte nicht nur seinen Partner verloren, sondern seine Perspektive, weiter als Zippo in der Manege zu agieren. Das stellt ganz offensichtlich einen seiner größten Verluste in seinem künstlerischen Leben dar und ist ein Beispiel dafür, wie nahe Komödie und Tragödie beieinander sind.
Fumagallis Erfolg basierte auf Bernhard Pauls angeborenem Talent zur Perfektion. Sie ist mehr als nur kleinliche Detailverliebheit, sie kennzeichnet vielmehr die genaue Handschrift eines Könners, der nicht den Hauch einer menschlichen und/oder technischen Nachlässigkeit akzeptiert. Wenn es um den Zirkus geht, lässt der Wiener Paul auch im rheinischen Köln keine Fünf gerade sein. Das nervt zuweilen die weniger Perfekten, aber wenn sie klug sind, lernen sie davon.
Diplomatie gehört gewiss nicht zu Bernhard Pauls Stärken, und sie würde nicht zu ihm passen. Seine Biografie und seine Lebenserfahrungen haben ihn zu einem spontan agierenden und reagierenden Klartext-Akrobaten der Sprache gemacht. Wenn es um seinen Zirkus, um sein Unternehmen, um seine Träume geht, macht ihm niemand etwas vor. Zirkus war schon für den sechsjährigen Jungen aus dem Dorf Wilhelmsburg in Niederösterreich eine Herzenssache. Schauspiel-Szenen, die den kleinen Paul als spielenden Jungen zeigen, werden hin und wieder eingeblendet, und auch das zeigt, dass Zirkus für ihn immer ein gutes Gefühl war, das Bernhard Paul trotz ökonomischer Risiken und Turbulenzen ein Leben lang begleitet – gewiss keine heile Welt, aber für ihn eine bessere. Die Doku arbeitet das sehr feinfühlig heraus.
Paul kann anpacken. Spinnen. Inspirieren. Begeistern. Nerven. Fördern. Fordern. Er kann mal nett, mal grantig sein. Seine Persönlichkeitsstruktur ist ein Original, ein Unikat, von dem es folglich keine Kopie gibt. Damit müssen die anderen Menschen eben leben. Dieses so vielfältige Angebot hat seinen Preis. Und doch kann er einem ans Herz wachsen, dieser großartige Künstler und Mensch.
Die Dokumentation ist wie ein guter Zirkus ein Erinnerungsraum, gut belichtet in den Interviews, Zitaten, Ausschnitten auch aus alten Film-Schätzchen. Sie zeigt menschliche Spannungen und zirzensische Highlights, sie verdrängt keine Konflikte. Und der Zuschauende begreift: Paul, der Souvenirs so liebt, hat dem verstaubten Souvenirladen den Aufbruch in die Zukunft entgegen gesetzt und dabei ein geniales Konzept geschaffen; denn bei der grandiosen Vielfalt seiner Programme hat Roncallli vor allem: Wiedererkennungswert. Ein Markenzeichen comme il faut.
Pauls phänomenale Inszenierungen, Regieeinfälle und Choreografien sind letztlich die perfekte Darstellung seiner selbst. So wird aus dem schönen Titel „Macht der Manege“ aus der Umkehrung die „Manege der Macht“ – die positive Macht, Kreativität und Ausstrahlung anderen zu vermitteln, sie zu stärken und daraus ein Gesamtkunstwerk zu gestalten, das allen gut tut.
Längst ist Bernhard Paul die Identifikationsfigur für Zirkus allgemein. Die ARD-Dokumentation liefert die elegante, unterhaltsame und informative Beschreibung dafür. Sie wirft ein buntes Licht auf Pauls unerbittliches Engagement, sein zähes Nie-Aufgaben, sein Einreißen von Mauern (manchmal auch mit dem Kopf), die gegen die Phantasie eines Clowns keine Chance haben. Sie trifft den Kreativen und Grantigen in seiner umfassenden Persönlichkeit ziemlich exakt. Der Film stellt die Identität mit Person und Zirkus her und führt die guten 120 Minuten letztlich zu einem schönen und gefühlvoll nachhaltigen poetischen Ende.
In eigener und ganz persönlicher Sache sei nicht ohne familiären Stolz erwähnt: Drehbuchautor ist Christoph Mathieu.
Ausstrahlungstermine:
dreiteilige Serie seit dem 21.12.2024 in der ARD-Mediathek
als Spielfilm in gekürzter Version am 04.01.2025 um 18:20 Uhr im Ersten
Fotos: Bernd Mathieu